Abenteuer kennen keine Altersgrenzen
Chau Smith läuft der Zeit bereits seit Jahren davon. Wenn du sie siehst, würdest du nie denken, dass sie 74 Jahre alt ist. Sie nimmt keinerlei Medikamente ein, verfolgt keinen speziellen Ernährungsplan und läuft, wenn sie möchte, einfach mal 80 Kilometer am Tag. Lies das spannende Interview mit ihr und sieh dir ihren inspirierenden Kurzfilm, unserer Reihe Women of Adventure an.
Mit Chau Smith
Einige sagen, dass das Alter nur eine Zahl ist. Stimmst du dem zu und falls ja, wie „jung“ fühlst du dich?
Ich habe meinem Alter noch nie große Aufmerksamkeit geschenkt. Mein Vater wurde im Jahr 1947 von den Franzosen hingerichtet, sodass meine Mutter untertauchen musste. Ich wurde ohne Geburtsurkunde geboren. Meine Geburt wurde sogar erst 3 Jahre später offiziell bestätigt, als meine Mutter sich sicher genug fühlte, um dies legal abzuwickeln. Ich muss schmunzeln, wenn ich gefragt werde, wie alt ich bin, da viele oft annehmen, ich sei in meinen Fünfzigern. Das Alter hat sich nur insofern auf mein Laufen ausgewirkt, als dass ich mit jedem Jahr etwas langsamer werde.
Du hast erst mit dem Laufen angefangen als du fast 40 warst. Was hat dich inspiriert, damit zu beginnen?
Mein Mann Michael war bereits ein Marathonläufer, als wir 1983 geheiratet haben. Bei seinen Trainingsläufen fuhr ich gewöhnlich auf dem Fahrrad hinter ihm her. Im Jahr 1993 kamen nach einem langwierigen Einbürgerungs-Verfahren meine vier Geschwister und deren Familien (insgesamt 25 Personen) nach und nach in die USA. Der emotionale und finanzielle Stress, ihnen dabei zu helfen, sich niederzulassen, hat mich mitgenommen. Die Gründung meines Unternehmens war ein weiterer Stressfaktor. Ich bekam Rücken- und Nackenprobleme. Ich stand kurz vor einer Rückenoperation, als ich mein Fahrrad stehen ließ und begann, zusammen mit meinem Mann zu laufen. Die Schmerzen verschwanden und ich war plötzlich zufrieden mit mir. Das Laufen wurde zu meinem Allheilmittel.
Welchen großen Herausforderungen musstest du dich stellen als du mit dem Laufen begannst und wie hast du sie gemeistert?
Wie für viele andere Läufer auch war eine der größten Herausforderungen für mich, jeden Tag Zeit für das Training zu finden und gleichzeitig Geld zu verdienen. Dazu kam zumindest in meinem Fall, mich um vier Einwandererfamilien zu kümmern. Tagsüber half ich meinen Geschwistern dabei eine Arbeitsstelle zu finden und versprach auch, als Übersetzer zu dienen, falls ein Arbeitgeber sie einstellen würde. Ich meldete meine Nichten und Neffen in der Schule an und half ihnen abends mit den Hausaufgaben. Aus diesem Grund begannen meine Trainingsläufe entweder um 4 Uhr morgens oder nach 21 Uhr am Abend.
Wie hast du dich entschieden, dir das irrsinnige Ziel zu setzen, einen Marathon auf allen sieben Kontinenten in sieben Tagen zu laufen?
Da sowohl mein Mann als auch ich selbst mit Begeisterung laufen und reisen, entschieden wir schon früh, auf unseren Reisen Marathons zu absolvieren. Nach ein paar Jahren bemerkten wir, dass wir auf den meisten Kontinenten einen Marathon gelaufen sind. Daher war unser nächstes Ziel, einen Marathon auf allen 7 Kontinenten zu laufen. Das haben wir in 12 Jahren erreicht. Unsere letzte Marathonreise führte uns mit Steve Hibbs, dem Besitzer von Marathon Adventures, in die Antarktis. Ein Jahr später kündigte Steve das Triple 7-Abenteuer an, bei dem an aufeinanderfolgenden Tagen ein Marathon auf jedem Kontinent absolviert wurde. Ich dachte mir: „Warum nicht?“ Also entschied ich mich dafür. Ich wollte nicht eines Tages zurückblicken und bedauern, es nicht versucht zu haben.
Zwei Marathons nacheinander zu laufen ist schon ziemlich unglaublich. Und du bist sieben gelaufen. Wie hast du dafür trainiert und gleichzeitig ein Geschäft geführt? Hast du überhaupt Zeit zum Schlafen gefunden?
Ich leide an Schlaflosigkeit und habe gelernt, mit wenig Schlaf auszukommen. Da das Laufen dadurch nicht beeinträchtigt wurde, war das zu meinem Vorteil. Ich lief vor und nach der Arbeit, um für das Triple 7 zu trainieren. Samstags arbeitete ich kürzer (vier Stunden). Ich stand früh auf, lief zur Arbeit und lief später wieder zurück nach Hause. Das sind insgesamt 77 Kilometer. Sonntags und montags hatte ich frei und absolvierte eine Marathondistanz. An den anderen Wochentagen lief ich 9,5 bis 13 Kilometer.
Was war schwieriger: die körperliche Anstrengung der Marathons oder die Belastung durch das Reisen und den Schlafmangel.
Das Reisen war der schwierigste Teil der Herausforderung. Alles war bis auf die Stunde genau geplant – manchmal sogar bis auf jede halbe Stunde genau. Es gab eine maximale Zeit, in der wir jeden Marathon beenden mussten, um den Flug zum nächsten Ziel zu erreichen. Jeder Tag war gleich: laufen, duschen, zum Flughafen fahren. Gegessen habe ich im Bus oder im Flugzeug. Geschlafen habe ich, wann immer ich konnte. Ehrlich gesagt waren die Marathons der einfachste Teil der Challenge. Beim Laufen konnte ich meinen Kopf freibekommen und die Landschaft genießen.
Welcher Marathon war für dich am unvergesslichsten und warum?
Kairo, Ägypten war mein Lieblingsort. Der dortige Laufclub Maadi Runners war der Sponsor für unseren Lauf. Jedem unserer Läufer wurden zwei von ihren Läufern zugewiesen, um uns mit der Pace zu helfen. Ich hatte Glück, da dort zwei Amerikaner arbeiteten und lebten, die mir mit meiner Pace durch den verrückten Verkehr in Kairo halfen. Als Frau in einem weitgehend muslimischen Land benötigte ich den Rat und den Schutz derjenigen, die auch mit den Gebräuchen vor Ort vertraut waren.
Welcher Marathon war am schwierigsten und warum?
Das war King George Island in der Antarktis. Das letzte Stück dieses Laufs bleibt mir besonders prägend in Erinnerung, da ich, nachdem ich so oft dieselbe Runde von 3,2 Kilometern gelaufen war, am Ende feststellen musste, dass das, was ich als Ziellinie angesehen hatte, nur bei einer Distanz von 41,8 Kilometern lag. Ich musste weitere 0,4 Kilometer laufen. Mein Freund Dan Reeve wartete auf mich und ahnte bereits, dass ich für die letzten 0,4 Kilometer moralische Unterstützung benötigen würde. Ich war so glücklich ins Ziel zu kommen, dass ich weinte, als mich eine kleine Schar von Läufern beglückwünschte.
Aber das hat deinen sportlichen Ehrgeiz nicht gestillt. Wie schnell hast du dich nach einer neueren und größeren Herausforderung umgesehen?
Ich las, dass Neuseeland als weiterer Kontinent angesehen wird. Ich schrieb an unsere Gruppe und schlug vor, dort im nächsten Jahr ein Wiedersehen abzuhalten. Unser Veranstalter nahm den Vorschlag auf und stellte ein neues Abenteuer namens „Triple 8 Quest“ vor. Ich fühlte mich fast ein bisschen schuldig, dass ich so kurz nach meinem Triple 7 schon wieder laufen wollte. Es war ziemlich teuer, aber da das Laufen äußerst wichtig für meine körperliche und geistige Gesundheit war, hat es sich in jedem Fall ausbezahlt. Der Veranstalter ließ mich wissen, als nur noch ein einziger Platz frei war. Ich nahm ihn und habe es nie bereut.
Für die Meisten ist es erstaunlich, dass du keinerlei Medikamente einnimmst. Gibt es ein Geheimnis für deine insgesamt gute Gesundheit oder hast du Tipps?
Ich möchte niemals Medikamente nehmen. Ich weigere mich, Aspirin einzunehmen oder sogar Vitamine. Ich glaube einfach nicht an synthetische Heilmittel. Wenn ich eine Erkältung habe, gebe ich Zitronengras und Minze in kochendes Wasser, werfe mir ein Tuch über den Kopf und atme den Dampf ein. Ich liebe es, im Freien zu sein, besonders wenn ich gestresst bin. Einfach nur nach draußen zu gehen und kurz ein Stück zu laufen oder zu gehen hilft mir dabei, fast alles zu bewältigen. Meine Ernährung ist nicht ungewöhnlich: viel frisches Obst und Gemüse, Tofu und Fisch. Ich esse nur selten rotes Fleisch oder Süßigkeiten, aber nach einer langen Laufeinheit gönne ich mir als Belohnung oft etwas Schokolade.
Was rätst du anderen, die in einer späteren Lebensphase mit dem Laufen anfangen möchten?
Ich rate auf jeden Fall, langsam zu beginnen. Zu gehen oder eine kurze Distanz zu laufen. Es hilft, sich mit anderen zusammenzuschließen, die in ähnlicher Form sind, damit man sich gegenseitig unterstützen und motivieren kann. Tritt einem Laufclub in deiner Nähe bei. Ein Club hat mir sehr dabei geholfen, als ich mein Tempo verbessern wollte. Ich hatte Glück, dass ich anfangs mit meinem Mann laufen konnte. Er prahlt immer damit, dass er mir geholfen hat, eine Läuferin zu werden. Jetzt läuft er hinter mir her.
Ich laufe gerne alleine, überall und zu jeder Zeit. Trotzdem muss ich vorsichtig sein. Als Frau trage ich viel Verantwortung. Das Laufen muss zur Routine werden, zu etwas, das so stark in dein Leben integriert ist, dass für dich ohne das Laufen etwas fehlt. Nimm kontraproduktive Ausreden nicht hin: „Ich kann heute nicht laufen, weil…“. Ob Sonne oder Regen, du kannst immer deine Laufsachen anziehen und loslegen. Und nimm dir bewusst die Zeit für dich und dein Training. Wenn du gesund und glücklich bist, hat auch deine Familie etwas davon.
Erzähle uns von deiner Laufsträhne und warum du sie genau begonnen hast.
Am 15. März 2020 reiste meine Familie zur Big Island nach Hawaii, um dort meinen Marathon im 50. US-Bundesstaat zu feiern. Mein Mann und meine jüngere Tochter absolvierten einen Halbmarathon. Meine ältere Tochter und ihr Mann jubelten uns zu. Am nächsten Tag ging Hawaii in den Lockdown wegen Covid 19. Mein Mann und ich flogen zurück nach Kansas City, Missouri. Ich beschloss, jeden Tag laufen zu gehen, bis ein Impfstoff gefunden wurde. Auf diese Weise wollte ich die Forschungsbemühungen unterstützen. Meine Laufsträhne war fast 300 Tage lang, als die Impfstoffproduktion begann. Ich beschloss, weiterhin jeden Tag laufen zu gehen, bis das Virus unter Kontrolle gebracht wurde.
Welches Abenteuer steht als Nächstes auf deiner Liste?
Ich möchte die 6 großen Marathons absolvieren. Es bleiben noch 2 übrig: Berlin und Tokio. Ich würde gerne trainieren, um schneller zu laufen und mich für den Comrades-Ultramarathon in Südafrika zu qualifizieren.